Papst Gregor I.

Diese Federzeichnung, die sich im berühmten Antiphonar des Hartker von St. Gallen (Cod. Sang. 390, S. 13, um 1000) findet, zeigt, wie Papst Gregor der Große einem Schreiber die gregorianischen Gesänge diktiert, auf dessen Tafel deutlich Neumen zu erkennen sind. Papst Gregors Autorschaft wird heute jedoch als Legende angesehen.
Papst Gregor I. der Große

Dass Papst Gregor (ca. 540–604), der Namensgeber, etwas mit den gregorianischen Gesängen zu tun haben soll, wird von der Musikwissenschaft und der Semiologie heutzutage in den Bereich der Legende verwiesen, obwohl Papst Gregors Autorschaft in mehreren Quellen Erwähnung findet. Die Wissenschaft schreibt ihm heute lediglich eine Mitwirkung an der textlichen Neuordnung der kirchlichen Gesänge zu.

Auch in diesem Punkt weichen die Forschungsergebnisse von Şebnem Yavuz von der Lehrmeinung ab. Sie geht davon aus, dass Papst Gregor wenige Jahrzehnte nach Boethius die machtvollen boethianischen Gesänge aufgriff, um sie für die Liturgie der römischen Kirche umzuarbeiten. Er wählte dabei diejenigen Melodien aus, die in sein Konzept passten, ordnete sie um, eliminierte die Frauen, die in der Kirche zu schweigen hatten, und unterlegte den Melodien neue Texte aus der Bibel, vor allem Psalmen. Auf diese Weise entstanden die greorianischen Gesänge, die er in seinem legendären Antiphonar festhalten ließ, das es tatsächlich gegeben hat.